Requiem am Rialto by Nicolas Remin

Requiem am Rialto by Nicolas Remin

Autor:Nicolas Remin [Nicolas Remin]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Krimi-Thriller, Historisch, Italien
Herausgeber: eBookCreatorNet
veröffentlicht: 2010-01-02T03:00:01+00:00


29

Das Kleid war aus grünlich changierender Seide und hatte ein mit winzigen Perlen besetztes Oberteil, das im Schein der Petroleumlampen verführerisch funkelte. Es hing über einer samtüberzogenen Schneiderpuppe im Schaufenster von Petrucci. Direkt neben dem Café Quadri gelegen, war Petrucci das Modegeschäft Venedigs. Jedenfalls, dachte Carla Dolci, wenn man das nötige Kleingeld hatte.

Hinter der Schneiderpuppe war ein niedriger Vorhang angebracht; durch ihn hindurch konnte sie ein elegantes Paar sehen, das gerade mit einem der Angestellten verhandelte. Die Dame lachte, und Carla Dolci fragte sich, ob auch sie eines Tages bei Petrucci einkaufen und mit dem Verkäufer scherzen würde. Sie schätzte, dass sie mindestens ein Jahr lang arbeiten müsste, um sich ein solches Kleid wie im Schaufenster kaufen zu können. Was bedeutete, dass sie es sich nie leisten konnte.

Sie trat zur Seite, um einer Dame und einem Herrn Platz zu machen, die sich dem Schaufenster von Petrucci genähert hatten. Als sie sich umdrehte, traf ihr Blick den des Mannes, und der Bursche hatte tatsächlich die Nerven, ihr zuzuzwinkern. Hatte er erkannt, wie sie ihre Brötchen verdiente? Vielleicht an der etwas zu dick aufgetragenen Schminke? Oder an den schwarzen Wimpern, die ein wenig zu lang waren, um echt zu sein? Wahrscheinlich. Es war auch wenig sinnvoll, dass man es ihr nicht ansah, in welchem Gewerbe sie arbeitete. Schließlich konnte sie sich kein Schild um den Hals hängen, auf dem ihre Tarife standen.

Was sie konnte und jetzt tat, war, mit wiegenden Hüften die Piazza zu überqueren und dabei einzelne Herren mit anzüglichen Blicken zu bedenken. Natürlich geschah dies mehr oder weniger automatisch, denn sie wäre nie auf den Gedanken gekommen, hier nach Kunden zu fischen — schon gar nicht an einem erstaunlich milden Februarabend, der halb Venedig auf die Piazza getrieben hatte. Der Markusplatz war für ihr Gewerbe tabu. Da verstand Ispettor Bossi, der gutaussehende Leiter der Polizeiwache an der Piazza, keinen Spaß.

Carla Dolci blieb im trüben Licht einer Gaslaterne vor dem Palazzo Ducale stehen und zündete sich eine Zigarette an. Die dünne Rauchsäule stieg auf und verflüchtigte sich in der nebligen Nachtluft. Als ein maskierter Signore an ihr vorbeilief und ihr einen Blick zuwarf, fühlte sie sich einen Moment lang unbehaglich. Hatte sie sich jetzt auch von der Nervosität ihrer Kolleginnen anstecken lassen? Sie war sich nicht mehr so sicher.

Natürlich waren die Gespräche, die sie in den letzten Tagen geführt hatten, immer nur um ein Thema gekreist: Hatte sich der Verrückte, der auf der Gondel und im Seguso zugeschlagen hatte, aus dem Staub gemacht, oder lag er noch immer auf der Lauer? Die eine Hälfte der Frauen war davon überzeugt, dass der Mann Venedig verlassen hatte, während die andere glaubte, er halte sich immer noch in der Stadt auf und könne jederzeit wieder zuschlagen. Ähnlich kontrovers wurde die Blondinenfrage diskutiert. War es reiner Zufall, dass ausgerechnet zwei blonde Frauen gestorben waren, und hätte es ebenso gut eine Brünette treffen können? Wenn es stimmte, dass sich der Mann ausschließlich an Blondinen hielt, musste sie allerdings auf der Hut sein.

Doch Carla Dolci hatte sich inzwischen längst eine eigene Meinung gebildet.



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